Wednesday 12 January 2011

Brief an Gorbatschow


Mein Brief an Michail Gorbatschow.
(Auszug)
Von Leutnant a.D. Heinz Unruh
Vorbemerkung: Im Jahr 2008 las ich in einer Tageszeitung die Buchsprechung über Michail Gorbatschows
„Erinnerungen“. Mit einigen Passagen in dem Buch war ich ganz und gar nicht einverstanden, weil ich es
als Zeitzeuge besser wusste. Ich war 1942 mit meiner Einheit, dem PzGrenRgt 3, das zur 3. Panzerdivision
gehörte, als OB bei der Kampfgruppe Hptm. Bösang in dem Dorf Priwolnoje einquartiert und im Haus der
Familie Gorbatschow untergebracht. Der kleine Michail war damals etwa 10 Jahre alt und – falls Herr
Gorbatschow meinen Brief gelesen haben sollte – wird er sich sicher an das tatsächliche – nämlich tadellose
- Verhalten der deutschen Soldaten erinnert haben. – Schade, dass in seinen „Erinnerungen“ nichts darüber
zu lesen ist. Übrigens hat er mir nie auf meinen Brief geantwortet.
*
Sehr geehrter Herr Michail Gorbatschow,
Sie werden mit Recht erstaunt sein, von einem ehemaligen deutschen Soldaten Post zu erhalten. Als einer
der letzten Zeitzeugen aus einer bewegten Vergangenheit möchte ich mit dem schuldigen Respekt auf
einige Passagen in Ihrem Buch hinweisen, in denen Aussagen abgedruckt sind, die so gar nicht zu Ihnen,
der von mir verehrten Persönlichkeit, passen. Nur der Umstand, dass in einer deutschen Tageszeitung ein
Auszug aus Ihrem Buch „Erinnerungen“ abgedruckt war, drängt mich als ehemaliger unfreiwilliger
Mitbewohner Ihres Heimatdorfes und damit Zeitzeuge im Interesse der Wahrheit und zur Ehrenrettung
meiner gefallenen Kameraden zur Richtigstellung.
Ich hatte als Soldat und Offizier das kaum fassbare Glück, die grausamen Kriegs- und Nachkriegsjahre zu
überleben. Deshalb kann ich als Älterer aus eigenem Erleben auf Ihre als Jüngeren gemachten Erfahrungen
und Erlebnisse antworten. Nach Ihrer Aussage in Ihrem Buch, war ich einer der sogenannten
„Herrenmenschen“, die plündernd und später mit Mordabsichten durch Ihr Heimatdorf zogen.
Ja, verehrter Herr Gorbatschow, ich war mit meiner Einheit (Kampfgruppe Hauptmann Bösang) mehrere
Wochen unfreiwilliger Gast in Ihrem Heimatdorf.
Einquartiert war ich mit mehreren Kameraden in Ihrem Elternhaus. Wir hatten nicht nur mit Ihrer
liebenswürdigen Frau Mutter, nein, auch mit den übrigen Dorfbewohnern ein gutes, freundschaftliches
Einvernehmen. Unser Kommandeur, Hauptmann Bösang, (1945 gefallen) fühlte sich für die Bürger des
Dorfes verantwortlich. Meine Einheit gehörte zur 3. Panzerdivision. Von unserer Seite und den
Dorfbewohnern gab es keine feindliche Einstellung, somit auch keine Partisanen. Ich denke heute noch mit
größter Hochachtung an die Frauen und Mütter, die unter furchtbaren Bedingungen ihr kümmerliches,
armseliges Dasein fristen mussten. Diese grauenhaften Lebensumstände gingen nicht von der deutschen
Besatzung aus. Nein, sie waren Bestandteil sowjetischer Politik.
Ich habe in keinem der europäischen Länder soviel Armut, Elend und Ungerechtigkeit gesehen, wie in dem
angeblichen „Paradies der Arbeiter und Bauern“. Die Dorfbewohner erzählten uns, dass die „Rote Armee“
auf ihrem Rückzug das System der verbrannten Erde anwandten. Das heißt, beim Rückzug wurden auf
Grund stalinistischer Befehle alle Vorräte des Dorfes entnommen oder vernichtet.
Der Umstand, dass wir mit den Dorfbewohnern auf engstem Raum leben mussten (im Gegensatz haben
unsere Gegner im Westen wie im Osten die Bewohner aus ihren Häusern vertrieben), hatten wir die
einmalige Gelegenheit den nicht genehmen Alltag von ihnen kennenzulernen, das bedingte auch, dass wir
mit den Bewohnern unser Essen teilen mussten. Wir erfuhren von den gequälten Menschen (es waren ja
mehr Frauen als Männer im Dorf), dass aus ihren Familien eine oder mehrere Familienmitglieder von der
GPU verschleppt oder ermordet wurden.
Ich kann Ihnen, verehrter Herr Gorbatschow, versichern, dass wir als junge Soldaten nie angehalten
wurden, uns wie „Herrenmenschen“ aufzuführen. Ich habe Ihre verehrte Frau Mutter als warmherzige,
gütige Frau und Mutter kennengelernt. Hier flossen meine Erinnerungen an meine Mutter ein, die über
tausend Kilometer in meiner Heimat um mich bangte, so wie Ihre Mutter um ihren Mann bangte, der als
Soldat gegen uns im Felde stand. – Von meiner Mutter bekam ich die Mahnung mit, die da hieß, behandle
im fremden Land die Menschen so, wie du deine Angehörigen behandelt wissen willst.
Ihre Frau Mutter fand für uns junge Soldaten (wir waren nicht älter als 18 Jahre) tröstende Worte, wenn es
hieß, wir gehen in Stellung. Wir teilten mit unseren Quartiersleuten unsere Verpflegung, wir bezahlten treu
und brav die Hühner, die unser Mahl bereicherten. – Ich kann nochmals mit Recht betonen, dass unser
Verhältnis mit den russischen Menschen, den Ukrainern und den Kaukasischen Völkern freundschaftlich
war. Ich lege Ihnen ein Merkblatt der deutschen Wehrmacht bei, in dem unsere Verhaltensweise gegenüber
diesen Völkern klar definiert wurde.
Wir hatten keinen Ilja Ehrenburg, der uns zu Mordtaten aufrief. Ich habe unter diesen schon genannten
Völkern wunderbare Menschen kennengelernt, an die ich heute noch mit größter Hochachtung denke.
Sie schreiben in Ihrem Buch, wir hätten als grausame Besatzer in ihrem Heimatdorf die Bewohner
ausgeplündert, nun, ich muss der Wahrheit zuliebe sagen, es gab bei diesen armen Menschen nichts zu
plündern und wenn, dann hätten wir das mit dem Leben bezahlt. Ich muss Ihnen sagen, dass selbst die
normalsten Dinge, die der Mensch zum Leben braucht in diesen Katen nicht vorhanden waren. Alltägliche
Gegenstände wie Zahnbürsten oder andere hygienische Artikel waren nicht vorhanden. Uhren waren
Mangelware, von Armbanduhren ganz zu schweigen. Ich habe in keinem der Häuser ein privates
Radiogerät gesehen, an Holzmasten hingen Uralt-Lautsprecher die von einer zentralen Stelle (Partei)
gesteuert wurden. In der Sowjetzeit, so wurde uns von den Dorfbewohnern versichert, durften sie nur das
hören, was ihnen die Partei vorschrieb.
Sie sprechen in Ihrem Buch von technischen Dingen, die wir entwendet hätten! Auch hier mein
Widerspruch. Ich habe in keinem Haushalt und das in Städten wie Charcow oder Krasnodar sowie Mosdok
irgendwelche technische Geräte vorgefunden. Für schier unglaublich ist Ihre Angabe, dass wir, die
sogenannten „Herrenmenschen“, neben anderen Sachen sogar die Schwarzerde (Mutterboden) aus Ihrem
Dorf weggeschleppt hätten. Bei Gott, wir hatten beim Rückzug andere Sorgen, wir mussten unsere
Fahrzeuge bereitstellen um Kosakische Flüchtlinge die mit ihren Dorfgemeinschaften vor der „Roten
Armee“ und der nachfolgenden NKWD fliehen mussten, in Sicherheit bringen.
Zum Schluss, verehrter Herr Gorbatschow, eine humorvolle Begebenheit als kleine Nachlese. Vielleicht
können Sie sich an diese Episode erinnern? Ich wollte Ihnen, dem kleinen, aufgeweckten Buben, das
Wolgalied aus der Operette „Der Zarewitsch“ nahebringen. Leider war meine musikalische Begabung
verheerend, wahrscheinlich dachten Sie als Junge, der deutsche „Teufel“ ist endgültig verrückt geworden.
Meine berechtigte Kritik an einigen Passagen Ihres Buches ändert nichts an meiner positiven Einstellung zu
Ihnen und Ihrer politischen Leistung. Sollte Ihr Weg wieder in meine Heimat führen, würden meine Frau
und ich versuchen, mich für die gewährte Gastfreundschaft in dem Haus Ihrer Eltern in aller Form zu
bedanken.
*

*
PS. Ich hatte das nicht fassbare Glück, dem Henker des NKWD zu entgehen. Da der Massenmörder Stalin
am russischen Volk zum Zeitpunkt meiner Verurteilung als sogenannter Kriegsverbrecher und Spion 1947
die Todesstrafe für einige Zeit ausgesetzt hatte, wurde ich zu 25 Jahren Arbeitslager (KZ-Lager) verurteilt.
Nach 10jähriger KZ-Lagerhaft 1956 mit Bewährung entlassen. Am 18. 10. 1991 wurde ich von der
russischen Generalstaatsanwaltschaft rehabilitiert.
*
Quelle: „Soldat im Volk“ – Juli/August 2010. Verband deutscher Soldaten e.V., Rheinallee 55, D-53173
Bonn.
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Abgeschlossen am 19. Oktober 2010.
via DerHonigmannsagt (Adresse >>)

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