Sunday 13 March 2011

Nachrichten direkt aus Japan

Sanriku-Kantō-Erdbeben - Update III: Planmässige Stromausfälle usw.



Ein weiteres Update zur Lage in Japan, vor allem im Grossraum Tokyo, gut 58 Stunden nach dem Hauptbeben am 11. März:

AKW
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Die Lage ist konfus. Kenrschmelze? Partielle Kernschmelze? In Wirklichkeit eigentlich nicht viel passiert? Drei Reaktoren vor der Schmelze oder zwei? Die Nachrichten überschlagen sich, doch aus dem Wust an Informationen ist es wirklich schwer, herauszufinden, was nun eigentlich passiert ist. Das ist keine Verschleierungstaktik - die Verantwortlichen wissen es selber nicht.
Hauptsächlich Ausländer, darunter hauptsächlich Deutsche, verfallen momentan im Raum Tokyo in Panik und versuchen, die Region zu verlassen. Japaner schauen besorgt gen Norden, verfallen aber nicht in Panik.
Fazit: Ich bleibe vorerst mit Familie hier. Aus verschiedenen Gründen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Tokyo verstrahlt wird, halte ich aufgrund der saisonalen Windrichtung für relativ ungefährlich. Bzw. hoffe ich es. Ich bin kein Experte. Werde ich die gleiche Strahlendosis erwischen wie nach Tschernobyl? Mehr? Weniger? Wo ist es sicher? Warum gab es in Bayern einen grösseren radioaktiven Fallout als z.B. in Mecklenburg? Ist Tokyo sicher? Ist Nagoya sicherer? Ich weiss es einfach nicht, und Experten scheinbar auch nicht.
Was bleibt, ist momentan hauptsächlich die Hoffnung. Ansonsten möchte ich mich nicht all den Mutmassungen anschliessen. Und ich bitte auch darum, keine Panik zu schüren - das ist das letzte, was wir hier brauchen können.
Beben & Nachbeben
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Nach neuesten Berechnungen hatte das Hauptbeben eine Stärke von 9.0. Dazu muss man nicht viele Worte verlieren - die Bilder sprechen Bände, und 9.0 ist hier nur eine Zahl.
Die spürbaren Nachbeben haben etwas nachgelassen. Geologen rechnen aber damit, dass innerhalb der nächsten 3 Tage mit 70%er Wahrscheinlichkeit ein Beben der Stärke 7.0 oder höher stattfinden wird. Aber auch das sind nur Zahlen. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings in der Tat hoch - das lehrt die Geschichte anderer Erdbeben.
Die Opferzahlen klettern stündlich. Mittlerweilen ist es auch kein Tabu mehr, im Fernsehen davon zu sprechen, dass die Opferzahlen fünfstellig sein werden. Dabei sei angemerkt, dass die Region, die am stärksten getroffen wurde, eher spärlich besiedelt ist.
Versorgung - Gas
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Gas scheint an vielen Orten wieder zu funktionieren. Modernere japanische Gaszähler haben übrigens eine Erdbebensicherung (jetzt bebt es gerade wieder), die die Gaszufuhr automatisch stoppt. Die muss man manuell wieder deaktivieren - sonst kann man noch so lange warten.
Versorgung - Wasser
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Offensichtlich hat es gerade unsere Stadt besonders schwer erwischt, denn in Nachbarstädten gibt es Wasser. Hier gibt es stellenweise entweder kein Wasser oder der Druck reicht nicht aus: In unserem Haus fliesst das Wasser im 1. Stock, im 2. tröpfelt es und bei uns im 3. fliesst rein gar nichts. Das erklärt auch die geöffneten Gaststätten in der Gegend - die liegen alle im Erdgeschoss.
Gute Nachrichten gab es jedoch heute: Erst hiess es, es werde einen Monat dauern. Heute kam eine Meldung herein, dass die Wasserversorgung ab dem 17. stehen soll. Das wäre schon mal ein grosser Fortschritt.
Versorgung - Benzin
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Langfristig soll es wohl keine Engpässe geben, kurzfristig aber schon: Tankstellen sind entweder geschlossen oder rationieren - meist 20 l pro Person.
Versorgung - Strom
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Und das sind die schlechten Nachrichten für uns. Am Wochenende funktionierte die Stromversorgung noch halbwegs, aber wenn ab Montag die Industrie wieder anläuft, reicht der Strom nicht. Ein knappes Drittel des Bedarfs kann nicht gedeckt werden. Um plötzliche, katastrophale Stromausfälle zu vermeiden, entschied die Politik zusammen mit TEPCO, dem Hauptversorger Nord und Ostjapans, planmässig den Strom in den 9 Hauptstadtpräfekturen abzuschalten - mit Ausnahme der Innenstadt von Tokyo (bis auf mehr oder weniger grosse Bereiche von Katsushika-ku, Adachi-ku, Nerima-ku, Arakawa-ku, Kita-ku, Toshima-ku, Suginami-ku, Setagaya-ku, Ōta-ku, Meguro-ku, Shinagawa-ku und Taitō-ku bleiben die 23-ku genannten Innendistrikte verschont - Liste der betroffenen Gebiete siehe hier (PDF, japanisch).
Alle anderen Gebiete wurden in 5 Gruppen eingeteilt, in denen regel- und planmässig der Strom aus- und wieder angeschaltet wird. Die Zeiten sind wie folgt:
Gruppe 1: 6:20〜10:00 und 16:50〜20:30
Gruppe 2: 9:20〜13:00 und 18:20〜22:00
Gruppe 3: 12:20〜16:00
Gruppe 4: 13:50〜17:30
Gruppe 5: 15:20〜19:00
Wir liegen in Gruppe 1. Ach ja, um 18 Uhr wird es dunkel - unsereins wird also ab morgen täglich von ca. 5 bis 8:30 abends im Dunkeln bleiben.
Dies wird sich so schnell nicht ändern - ich kann mir vorstellen, dass dies wochenlang so gehen wird. Man muss dies jedoch wirklich von der positiven Seite sehen: Diese Massnahme ist besser als unvorhergesehene, massive Blackouts. Denn - kein Strom bedeutet keine Informationen.
Ach ja: Der aufmerksame Beobachter wird zwei Sachen feststellen:
1) Oh Gott, aus dem Ausland Strom importieren geht ja im Falle Japans gar nicht.
2) Moment, warum kann Westjapan keinen Strom hinzuschiessen?
Letzteres ist schnell erklärt: Ostjapan hatte dereinst das deutsche System übernommen - mit 50 Herz-Frequenz. Westjapan hat das amerikanische System übernommen - mit 60 Herz. Leider sind die Systeme nicht kompatibel.
Versorgung - Essen
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Stilles Wasser gibt es nicht zu kaufen, Brot auch nicht (wird nach Norden abgezweigt). Einige Supermärkte sehen katastrophal aus. Die Lage wird sich durch die Stromabschaltungen und die momentane Benzinknappheit mit Sicherheit noch verschärfen. Das bedeutet nicht, dass es eine Hungersnot geben wird - sondern nur, dass man auf absehbare Zeit nicht allzu wählerisch sein darf.
Sonstiges: Disziplin
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Es ist der absolute Wahnsinn, wie diszipliniert man in Japan mit der aktuellen Lage umgeht. Ich habe noch niemanden gesehen, der z.B. durch überhöhte Preise versucht, Profit aus der Situation zu schlagen Niemand. Die Leute sind diszipliniert, sie stellen sich, wenn nötig, ohne Murren stundenlang an usw. Ich muss das wirklich mal so festhalten: In diesem Punkt ist Japan der Gipfel der Zivilisation.
Was macht tabibito?
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Ich werde Montag morgen zur Arbeit fahren, denn es gibt viel zu tun und ich bzw. die Firma können es sich nicht leisten, abwesend zu bleiben. Es ist auch der Versuch, ein bisschen zur Normalität zurückzukehren. Es wird mit Sicherheit Probleme geben. Ein paar unserer Server stehen ausserhalb der von Stromausfällen sicheren Zone - das wird auch uns beeinflussen.
Danke
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Danke Euch Allen für die Angebote und aufmunternden Worte. Besonders danke ich E. aus Sagamihara und D. aus Kamakura für die Angebote, uns im Notfall aufzunehmen. Das weiss ich sehr zu schätzen und ich werde es nicht vergessen.
Danke auch Stephan, für das Angebot, diesen Blog vorübergehend zu hosten. Momentan kommt es mangels Zeit nicht in Frage, aber ich behalte es im Hinterkopf.
Mit Euren Worten ermuntert Ihr mich (die meisten Kommentare jedenfalls), weiter Updates zu posten. Danke auch allen Bekannten und Freunden, die mich zum ersten Mal seit vielen Jahren kontaktieren (bzw. sich an mich erinnern).
Ich werde mich weiterhin melden, aber bitte versteht, dass die Sicherheit meiner Frau und meiner beiden Kinder an oberster Stelle steht - erst danach kommt dieser Blog :)

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